Im Gegensatz zu anderen Ländern wie Frankreich war es im Deutschland des 19. Jahrhunderts unüblich, sich selbst zu rasieren. Stattdessen ging man zum Barbier oder Friseur. Nur in höheren Gesellschaftsschichten war die tägliche Rasur selbstverständlich. Sogenannte Rasierabonnements, bei denen mit dem Friseur ein Jahrespreis für das Rasieren vereinbart wurde, waren dabei weit verbreitet. Die Mehrheit der männlichen Bevölkerung hielt allerdings eine Rasur in der Woche für ausreichend, da man auch mit mehrere Tage alten Stoppeln nicht zwangsläufig als ungepflegt galt.
Das Rasieren bildete die Haupteinnahmequelle der seit den 1890er Jahren stark angewachsenen Zahl der Friseure und Barbiere. Bei 94.400 Beschäftigten im Jahre 1905 gab es selbst in Dörfern mit nur wenigen hundert Bewohnern Friseure, deren Hauptarbeit im Rasieren bestand. Diese konzentrierte sich auf den Samstagabend und den Sonntagmorgen. Immerhin war es den Barbieren untersagt, ihre Gesellen sonntags länger als vier Uhr nachmittags zu beschäftigen. Wachsender Konkurrenzdruck führte Ende des 19. Jahrhunderts zur Einrichtung eleganter Barbiersalons, während die Hausbesuche der Barbiere zurückgingen.
Dem Rasiergeschäft der Friseure abträglich waren die nicht immer unberechtigten Klagen über mangelnde Hygiene. In vielen Salons, so hieß es, sei man „in steter Gefahr, mit der Bartflechte oder einem anderen ansteckenden Ausschlage angesteckt zu werden.“ Die Behörden versuchten, mit Polizeiverfügungen ein Mindestmaß an Sauberkeit zu verordnen, doch Bakterien waren als Krankheitserreger wissenschaftlich noch umstritten.„Bakterienrein bedient zu werden ist heute große Mode“ meinten die Barbiere und sichtbar aufgestellte Gefäße mit Desinfektionsmittel waren nur vorhanden, „um hier zur Beruhigung des Kunden das Messer vor dem Rasieren einzutauchen.“
Die grassierende Bartflechte und mehr noch die Furcht vor Ansteckung führte unter anderem zum Verschwinden der Rasur beim Friseur. Häufig wurde auch über die mangelnde Qualität der Rasur geklagt. „Es würde unseren Geschäften vielleicht mancher Rasierkunde erhalten,“ klagte ein Barbier selbstkritisch, „wenn die Bedienung schmerzloser wäre. Man braucht sich nur einmal in verschiedenen Geschäften rasieren zu lassen. Manchmal scheint es, als schabe ein Kartoffelschäler über das Gesicht.“