Bart und Rasur
Im Leben jedes Mannes kommt der Tag, an dem er mit der
Rasur konfrontiert wird. George Bernhard Shaw schilderte
diesen Tag so: "Ich war damals ungefähr fünf. Ich stand
neben dem Knie meines Vaters, der sich gerade rasierte. ›Daddy‹,
sagte ich zu ihm, ›Warum rasierst du dich?‹ Schweigend sah
er mich an, er schwieg ungefähr eine Minute. Dann warf er das
Rasiermesser hin und sagte: ›Verdammt noch mal, warum
rasiere ich mich eigentlich?‹ Er hat sich nie wieder
rasiert." Diese Anekdote offenbart die Problematik jeder
Beschäftigung mit modischen Erscheinungen und Ausdrucksformen
- die schwierige Frage nach dem "Warum".
In heutigen Gesellschaften werden mit dem Tragen eines
Bartes, einer bestimmten Bartform oder durch glattrasiertes
Auftreten soziale, politische oder religiöse Zugehörigkeiten
signalisiert. Auch in der Vergangenheit gab es einen steten
Wandel in der Art und Weise, wie man Haar und Bart trug.
Dieser Wandel spiegelt manchmal nur individuelle Vorlieben
oder eine veränderte Wahrnehmung körperlicher Attraktivität
wider. Doch Bart oder Rasur sind in allen Zeiten auch ein
Zeichen sozialer Zugehörigkeit, mit dem stets eine bewusste
oder unbewusste Aussage verbunden war.
Die Bartmode - zu der auch die glatte Rasur zählt - ist
wie jede Modeerscheinung Ergebnis eines komplexen
Wechselspiels aus einem Bedürfnis nach Konformität und einem
Streben nach Abgrenzung. Man strebt nach Übereinstimmung mit
der Gruppe, der man angehört und innerhalb derer bestimmte
Vorstellungen vom äußeren Erscheinungsbild herrschen. Dieser
optischen Norm gilt es möglichst nahe zu kommen, denn diese
Konformität stellt für den Einzelnen eine Quelle der
Identifikation, der Selbstbestätigung und des Wiedererkennens
dar. Gleichzeitig eröffnet die Mode die Möglichkeit der
Differenzierung sowohl innerhalb der Gruppe als auch nach
außen. Die Beachtung oder demonstrative Missachtung von
Modetrends dient damit der Dokumentation des eigenen sozialen
Standortes.
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